Wir brauchen keine Schiedsgerichte!
TTIP läuft den Interessen der Mehrheit von Deutschen und Amerikanern zuwider, sagt die US-Juristin Lori Wallach
Wenn sich Barack Obama und Angela Merkel auf der Hannover-Messe treffen, werden sie die deutsch-amerikanische Freundschaft feiern – völlig zu Recht. Zugleich aber werden ihre Gespräche um den Abschluss von TTIP kreisen. Und dieses Abkommen läuft den Interessen der Mehrheit von Deutschen und Amerikanern zuwider.
Nach zwei Jahrzehnten amerikanischer Freihandelspolitik – beginnend mit dem North Ame-rican Free Trade Agreement (Nafta) mit Kanada und Mexiko von 1993 – stellen wir fest: Beschlossen wurde eine Vielzahl an Maßnahmen, die kommerziellen Interessen dienen, mit Handelsfragen teils nichts zu tun haben und auf demokratischem Wege niemals beschlossen worden wären. US-Unternehmensgewinne sind rapide gestiegen, aber ein Drittel der Arbeitsplätze in der US-Produktion und Millionen Dienstleistungsjobs wurden in Niedriglohnländer verlegt. Die Durchschnittsgehälter sind gesunken, während sich die Produktivität der Arbeiter fast verdoppelte. Kleine landwirtschaftliche Betriebe gingen pleite, weil der Markt mit importierten Lebensmitteln geflutet wurde.
Unternehmen klagten außerdem vor internationalen Schiedsgerichten gegen Regierungen auf Schadensersatz. Sie beriefen sich auf Regelungen zum Investorenschutz, die durch Freihandelsverträge geschaffen wurden. Sie klagten gegen politische Entscheidungen zum Verbot giftiger Substanzen, gegen Regulierungen zur Landnutzung, zum Gewässerschutz, zur Waldnutzung, gegen energiepolitische Maßnahmen. Drei Milliarden US-Dollar mussten verschiedene Regierungen an Unternehmen insgesamt zahlen.
Als der schwedische Konzern Vattenfall gegen Deutschlands Entscheidung über den Atomausstieg klagte, war das ein Weckruf für die Deutschen. Vattenfall hat in zwei Fällen vor einem internationalen Schiedsgericht geklagt und beruft sich auf den „Energie-Charta-Vertrag“, der Regelungen zum Investorenschutz enthält. Das Verfahren zum Kohlekraftwerk Moorburg endete mit einem Vergleich, das zur Atomkraft läuft noch.
Einen ähnlichen Weckruf bekamen die Amerikaner jüngst durch das kanadische EnergieunterGroße Firmen werden profitieren, die Bürger aber nicht. Einen ähnlichen Weckruf bekamen die Amerikaner jüngst durch das kanadische Energieunternehmen TransCanada. TransCanada kündigte an, vor einem internationalen Schiedsgericht auf 15 Milliarden US-Dollar Entschädigung von den US-Steuerzahlern zu klagen und beruft sich dabei auf den im Nafta-Abkommen vereinbarten Investorenschutz. Grund ist das von US-Präsident Barack Obama beschlossene Verbot der KeystoneXL Pipeline zum Transport von Teersand, dem schlimmsten aller fossilen Treibstoffe. Der Angriff von TransCanada gefährdet den historischen Sieg der indigenen Völker, Umweltschützer und Landbesitzer, die die Pipeline nach jahrelangen Protesten stoppen konnten.
Die EU-Kommission reagierte auf Kritik und schlug nun sogenannte Investitionsgerichte vor, ohne die fundamentalen Fehler anzugehen. Dabei ist es einfach: Ausländische Unternehmen brauchen kein eigenes Rechtssystem, wie es die Schiedsgerichte schaffen – vor allem, da es in der EU und den USA stabile Eigentumsrechte und gut funktionierende Gerichtssysteme gibt.
All das befeuert den von Demokraten und Republikanern gleichermaßen getragenen Protest gegen jedes weitere Handelsabkommen. Schon beim Transpazifischen Freihandelsabkommen, das im Februar unterzeichnet wurde und noch ratifiziert werden muss, hieß es, man würde das System der Schiedsgerichte „reparieren“ und höchste Umweltstandards berücksichtigen. Doch auch das Transpazifische Freihandelsabkommen wird mit dazu beitragen, dass die Bio-tech- und Agrarindustrie die Gentechnik-Politik der einzelnen Länder unterminiert.
Genau wie Nafta und TPP wird TTIP jetzt hinter geschlossenen Türen verhandelt. Mit am Verhandlungstisch sitzen 500 Vertreter von Firmeninteressen, nicht aber Medien, Bürger oder gewählte Volksvertreter.
Die Risiken von TTIP sind hoch, selbst optimistische Prognosen über das zu erwartende Wirtschaftswachstum hingegen niedrig. Die viel zitierte Pro-TTIP-Studie des Centre for Econo-mic Policy Research schätzt: Falls ein Viertel der „nichttarifären Handelshindernisse“ (die Finanzkontrollen, Lebensmittelstandards und Klimaschutzmaßnahmen beinhalten könnten) reduziert oder abgeschafft werden würden, könnte TTIP das europäische Bruttoinlandsprodukt bis 2027 gerade mal um 0,3 bis 0,5 Prozent anheben. Eine Studie der Tufts-Universität mit realistischeren Annahmen prognostiziert sogar, dass TTIP für Europa zu einem Rückgang des BIP und privater Einkommen führen würde und zum Verlust von 600 000 Arbeitsplätzen.
Bei ihrem Treffen in Hannover sollten Obama und Merkel natürlich ihre Bemühungen um die deutsch-amerikanische Freundschaft, um eine gute Zusammenarbeit und auch um die Handelsbeziehungen fortsetzen. Aber sie müssen auch die zutiefst irregeleitete TTIP-Agenda verhindern, die nur Konzernen Vorteile bringt – und sonst niemandem!
Lori Wallach ist Juristin und leitet bei der US-Verbraucherschutzorganisation Public Citizen den Bereich Welthandel
Quelle: Tagesspiegel 24. April 2016